Ich möchte meinen Kindern ein Vorbild sein. Darum mache ich mit 36 eine Lehre

Als Teenager brach sie die Lehre ab. Danach jonglierte Natalie Weyeneth Jahre lang zwischen ihrer Familie und drei Teilzeit-Jobs. Bis sie sich entschied, mit 35 eine Berufslehre als Malerin EFZ zu beginnen. Warum, das erzählt sie im Interview.

Frau Weyeneth, was hat Sie dazu gebracht, mit über 30 Jahren einen neuen Beruf zu lernen?
Als Teenager habe ich meine Lehre im Verkauf abgebrochen. Danach war ich Hausfrau und Mami. Den Wiedereinstieg in die Berufswelt startete ich im Verkauf, aber ohne abgeschlossene Lehre. Am Schluss arbeitete ich in drei Jobs gleichzeitig, alle im Stundenlohn. Trotzdem hat das Geld kaum gereicht. Irgendwann wurde das zu viel. Ich habe alle Stellen gekündigt und ging aufs RAV.

Wie ging es dann weiter?
Das RAV bot mir an, mich bei einer Ausbildung zu unterstützen. Ich hatte davor im Radio schon gehört, dass man als Erwachsene eine Lehre machen kann. Als mich die Leute beim RAV darauf ansprachen, habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich ging Schnuppern bei meinem heutigen Arbeitgeber und bekam gleich eine Lehrstelle angeboten.

Aber warum haben Sie sich für eine Berufslehre entschieden und nicht einfach einen 100% Job gesucht?
Ich möchte ein Vorbild für meine Kinder sein. Und ehrlich, heute kommt man ohne anerkannten Abschluss einfach nirgends mehr hin.

Sie machen eine Berufslehre und haben eine Familie. Wie funktioniert das finanziell?
Ich bekomme einen normalen Lehrlingslohn von meinem Arbeitgeber und das RAV stockt diesen bis zum Existenzminimum auf. Mit der Lehre investiere ich natürlich auch in eine finanziell sicherere Zukunft.

Sie hatten davor drei Jobs gleichzeitig. Heute sind Sie wieder in Ausbildung. Was hat sich für Sie verändert?
Es ist ein total anderes Leben. Endlich arbeite ich regelmässig mit freien Wochenende und bezahlten Ferien. Das ist für mich richtig Luxus.

War es eine grosse Umstellung, wieder in die Schule zu gehen?
Ja klar. Aber es ist super, das Hirn wieder zu trainieren. Heute habe ich zur Schule eine andere Einstellung wie früher. Denn ich weiss jetzt, warum ich die Dinge lernen muss. Ich bin auch viel ehrgeiziger. Ich will nicht einfach nur die Lehre bestehen, sondern einen guten Abschluss machen.

Sie sind mit Jugendlichen in einer Klasse. Wie ist das als erwachsene Frau?
Ich hatte etwas Respekt davor. Aber es ging von Anfang an ohne Probleme. Ich bin gut in die Klasse integriert und Teenager sind einfach lustig. Es macht mir Spass in der Schule.

Was ist für Sie die grösste Herausforderung an der Ausbildung?
Die Kinder, die Schule und das Arbeiten unter einen Hut zu bringen. Ich verzichte natürlich momentan auf viel. Ich kann meine Kollegen zum Beispiel weniger treffen. Aber sie verstehen das und motivieren mich, weiter zu machen.

Wie reagieren eigentlich andere Leute darauf, dass Sie mit Mitte 30 noch eine Berufslehre machen?
Alle Reaktionen sind durchs Band positiv. Niemand war kritisch oder hat mich auch nur gefragt, warum ich das mache. Diese Reaktionen bestärken mich natürlich.

Sie haben noch ein Jahr bis zum EFZ. Haben Sie schon weitere Ziele für danach?
Ich freue mich natürlich sehr aufs Arbeiten als Malerin. Gleichzeitig denke ich, dass mir die Schule fehlen wird. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich später auf etwas spezialisiere. Zum Beispiel auf Farbenkunde oder Tapezieren.

Würden Sie es Leuten ohne Berufsabschluss empfehlen, selbst einen zu machen?
Ja, auf jeden Fall. Aber man braucht Unterstützung dabei. Ohne Menschen, die einem motivieren ist es sicher schwer bis zum Schluss durchzuhalten.

Natalie Weyeneth

Alter: 36
Angestrebter Abschluss:

Malerin EFZ

Voraussetzungen für einen Berufsabschluss im Erwachsenenalter

In der Schweiz gibt es rund 250 verschiedene berufliche Grundbildungen. Auch im Erwachsenenalter können Sie in jedem Beruf ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder ein eidgenössisches Berufsattest (EBA) erlangen.

Um einen Berufsabschluss zu erwerben, brauchen Sie folgende Voraussetzungen:

  • Gute Kenntnisse einer Landessprache
  • Gute Grundkompetenzen
  • Motivation und Durchhaltewillen


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