Die Berufsberatung: Anlaufstelle für Jugendliche und Eltern

Die Berufswahl ist für viele Jugendliche eine Zeit der Unsicherheit. Welche Ausbildungswege sind möglich? Und welche Berufslehre entspricht den eigenen Interessen und Fähigkeiten? Mit der Berufsberatung haben Jugendliche eine Anlaufstelle, um solche Fragen zu klären. Aber auch Eltern können sich an die Berufsberatung wenden. Im Doppelinterview erklären Garance Tièche, Berufsberaterin im Kanton Neuenburg, und Jean-Pierre Cattin, Direktor der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung Kanton Genf, wie die Berufsberatung Jugendliche und ihre Eltern im Berufswahlprozess unterstützt.

Garance Tièche, Berufsberaterin im Kanton Neuenburg
Garance Tièche, Berufsberaterin im Kanton Neuenburg

Nach der Schule können Jugendliche sich für eine von über 200 Berufslehren entscheiden. Das ist keine leichte Wahl. Was würden Sie Jugendlichen raten, die sich mit der Berufswahl schwertun?

Garance Tièche: Wir ermutigen sie, herauszufinden, was sie gerne tun, wo ihre Stärken liegen und welche Tätigkeiten sie interessieren. Auch ermutigen wir sie, mit ihrem Umfeld darüber zu sprechen. Am besten ist es, verschiedene Berufe auszuprobieren, sie von innen heraus zu erleben und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Jean-Perre Cattin: Und auch wenn es mit dem Traumberuf nicht klappt, ist das kein Problem. Man sollte sich nicht zu sehr unter Druck setzen, denn das Bildungssystem ist durchlässig und man kann sich immer wieder neu orientieren. Wichtig ist, dass man die Erstausbildung abschliesst.

 

Mit welchen Anliegen wenden sich Jugendliche an die Berufsberatung?

Garance Tièche: Sie kommen mit unterschiedlichen Anliegen. Manche wollen ihren Berufswunsch überprüfen und bestätigen, andere brauchen Sicherheit und Begleitung in der Zeit der Berufswahl, die im Jugendalter nicht immer einfach ist. Wir werden auch bei Formalitäten um Hilfe gebeten (z. B. bei Bewerbungsunterlagen oder Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche).

 

Wie hilft die Berufsberatung den Jugendlichen dabei, die richtige Berufslehre zu finden?

Jean-Pierre Cattin: Es ist eine echte Aufklärungsarbeit. Denn viele Berufe sieht man nicht auf der Straße. Sie sind den Jugendlichen daher unbekannt. Die Berufsberatung hilft den Jugendlichen daher, sich über Berufe, ihre Anforderungen und Perspektiven zu informieren, die ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechen, Schnupperlehrstellen zu suchen, die praktische Erfahrung vermitteln und ihre Wahl zu klären.

Garance Tièche: Ziel ist es, den Jugendlichen zu ermöglichen, ihren Wünschen und Möglichkeiten gerecht zu werden. Anhand der Einsichten und Informationen unterstützen wir Jugendlichen dabei, aus den vielen Berufen eine Wahl zu treffen.

 

Wenn Eltern ihre Kinder begleiten: Inwiefern unterscheiden sich ihre Anliegen von jenen der Jugendlichen?

Jean-Pierre Cattin: Die Sorgen der Eltern konzentrieren sich eher auf die Sicherheit und Stabilität des Arbeitsplatzes. Sie sorgen sich um die Einkommensaussichten und die Fähigkeit ihres Kindes, langfristig für sich selbst zu sorgen. Die Jugendlichen neigen dazu, ihre persönlichen Leidenschaften und Interessen in den Vordergrund zu stellen.

Garance Tièche: Manchmal fällt auf, dass die Schülerinnen und Schüler besser über die Ausbildungsmöglichkeiten informiert sind und weniger Vorurteile haben, insbesondere gegenüber der Berufsbildung, die sich in den letzten 30 Jahren stark verändert hat. Heute ist das Bildungssystem viel durchlässiger und bietet auf jeder Stufe zahlreiche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

 

Jean-Pierre Cattin, Direktor der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung Kanton Genf
Jean-Pierre Cattin, Direktor der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung Kanton Genf

Manche Eltern haben eine bestimmte Vorstellung, welchen beruflichen Weg ihre Kinder einschlagen sollen. Ist die Wunschvorstellung der Eltern auch wirklich die beste Wahl für das Kind?

Garance Tièche: Die Eltern haben den grössten Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder. Wenn sie schlecht über das Bildungssystem informiert sind, besteht die Gefahr, dass sie falsche Ratschläge geben. Die Erwartungen der heutigen Generation an die berufliche Laufbahn haben sich verändert. Der Trend geht seit einigen Jahren in Richtung Selbstverwirklichung. Wohlbefinden, Freizeit und Arbeitsbedingungen (flexible Arbeitszeiten, Teilzeit usw.) stehen stärker im Vordergrund.

Jean-Pierre Cattin: Jugendliche, die gezwungen sind, eine vorgegebene Laufbahn einzuschlagen, können Frustration und Demotivation erleben, die sich auf ihr allgemeines Wohlbefinden und ihre Leistungen auswirken und zu einem Misserfolg oder zu einer Neuorientierung nach dem Schulabschluss führen können. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass junge Menschen an der Wahl ihrer beruflichen Laufbahn beteiligt werden, damit sie sich in einem Bereich, der sie begeistert, entfalten und auszeichnen können.

 

Wie können Eltern ihre Kinder in der Berufswahl am besten unterstützen?

Garance Tièche: Indem sie ihnen zuhören, ohne zu urteilen, und versuchen, ihre Beweggründe zu verstehen. Auch sollten sie versuchen, ihre Kinder so gut wie möglich zu begleiten, auch wenn die Wahl unrealistisch erscheint. Das Gefühl, gehört und unterstützt zu werden, ist in dieser Zeit voller Fragen sehr wichtig.

Jean-Pierre Cattin: Eltern sollten ihre Kinder ermutigen, vielfältige Erfahrungen zu machen, um ihre eigenen Interessen zu entdecken, sei es in der Freizeit oder durch Schnupperlehren.

 

Haben Sie einen Tipp, wie Eltern ihre Kinder schon vor der Berufswahl mit der Berufswelt vertraut machen können?

Jean-Pierre Cattin: Eine gute Möglichkeit, sich über die Arbeitswelt zu informieren, ist das Lesen von Berufsbeschreibungen oder das Ansehen von Berufsvideos auf der Website berufsberatung.ch. Die Eltern können bei der Recherche behilflich sein. Sie können auch schon in jungen Jahren praktische Tätigkeiten wie Nebenjobs, Praktika oder Freiwilligenarbeit fördern, um Einblicke in verschiedene Berufswelten zu ermöglichen. Auch Gespräche mit Familienmitgliedern und Freunden über deren Berufserfahrungen erweitern die Perspektiven ihrer Kinder.

Garance Tièche: Das Zeigen und Besprechen von Berufen, mit denen jeder täglich zu tun hat, weckt die Neugier des Kindes. Der Besuch von Tagen der offenen Tür, Berufsmessen oder anderen Gelegenheiten ermöglicht es dem Kind, eine breite Palette von Berufsfeldern zu entdecken.