Die Berufsbildung eröffnet Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Für Bundesrat Guy Parmelin ist klar: Jugendliche in der Berufsbildung haben hervorragende Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Die Schweiz ist zudem beispielhaft, was die Flexibilität und die Durchlässigkeit des Bildungssystems betrifft. So gibt es zahlreiche Möglichkeiten für eine berufliche Umorientierung.
Das Schweizer Bildungssystem und speziell auch die Berufsbildung nehmen international eine Vorreiterrolle ein. Was zeichnet sie aus?
Guy Parmelin: Ein grosser Pluspunkt sind unsere Schulen. Sie legen sozusagen das Fundament. Ein weiterer Pluspunkt ist die hohe Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen. Bei uns heisst es: «Kein Abschluss ohne Anschluss». Nach einer Ausbildung stehen immer wieder Türen offen. Der Wechsel von der Berufsbildung an eine Hochschule oder umgekehrt sowie Tätigkeitswechsel im Verlauf des Arbeitslebens sind ohne Umwege möglich.
Eine Stärke der Berufsbildung ist die enge Verknüpfung von Praxis und Theorie. In der beruflichen Grundbildung wird praktisches Wissen im Betrieb und den überbetrieblichen Kursen erlernt, Theorie in der Berufsfachschule. Auch die höhere Berufsbildung auf Tertiärstufe verbindet Theorie und Praxis. An allen Lernorten sorgen zudem speziell ausgebildete Berufsbildungsverantwortliche für die Vermittlung der erforderlichen Kompetenzen.
Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels, welche Vorteile der Berufsbildung gilt es hervorzuheben?
Unsere Berufsbildung ist arbeitsmarktorientiert. Die Anforderungen an die einzelnen Abschlüsse der beruflichen Grundbildung und der höheren Berufsbildung werden von der Wirtschaft festgelegt. Ausgebildet wird, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist. Die Jugendlichen erlernen Berufe, für die es auch tatsächlich eine Nachfrage seitens der Unternehmen gibt.
Zudem ist das Berufs- und Weiterbildungssystem in der Schweiz auf Wandel ausgelegt. Alle beruflichen Grundbildungen und die Bildungsangebote und Abschlüsse der höheren Berufsbildung werden regelmässig überprüft und an neue Entwicklungen angepasst. Die Aus- und Weiterbildungen sind dadurch à jour. Die Berufsleute können so sich jederzeit beruflich weiterentwickeln und Chancen nutzen.
Wie schätzen Sie die Marktchancen ein für Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger?
Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger haben sehr gute Chancen. In ihrer beruflichen Grundbildung haben sie erlernt, was im Berufsleben gefragt ist. Zudem verfügen sie mit ihrem Lehrabschluss über einen vollwertigen, von den Branchen getragenen und auf dem Arbeitsmarkt anerkannten Berufsabschluss.
Die berufliche Grundbildung wird aber auch immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert, beispielsweise von Eltern. Wie kann man die Vorurteile aus dem Weg räumen und was kann man tun, um Eltern während des Berufswahlprozesses ihrer Kinder zu unterstützen?
In den vergangenen Jahren ist in der Schweizer Bildungslandschaft ganz viel passiert. Ich denke an die Reformen der beruflichen Grundbildungen. Es gibt heute viele attraktive Lehrberufe in allen Branchen. Weiter haben wir ein Bildungssystem, das viele Wege offenlässt: Auf der Tertiärstufe bietet die höhere Berufsbildung viele Karrieremöglichkeiten. Mit der Berufsmaturität gelangt man zudem an die Fachhochschulen. Sackgassen gehören der Vergangenheit an. Wer heute mit einer Berufsbildung startet, dem stehen alle Wege offen.
Einen guten Einblick in die Möglichkeiten der Berufsbildung bieten die zahlreichen regionalen Berufsmessen. Ich kann den Besuch dieser Veranstaltungen allen Eltern und Jugendlichen empfehlen.
Was möchten Sie Eltern mitgeben, die momentan ihre Kinder beim Berufswahlprozesses begleiten?
Ich bin mir bewusst, dass die Berufswahl der Kinder auch für die Eltern eine anforderungsreiche Zeit ist. Eltern und Kinder können aber auf eine breite Unterstützung zählen. Ich denke an den Berufswahlunterricht in der Schule, die Angebote der Berufsinformation und Berufsberatung oder an die zahlreichen Informationen der Unternehmen und Berufsverbände. Entscheidend ist, dass die Kinder das Engagement ihrer Eltern spüren und ein offenes Ohr für ihre Ideen und Fragen finden.
Und was möchten Sie den Jugendlichen mit auf den Weg geben?
Im Prinzip geht es um diese simple Frage: welcher Beruf passt zu mir? Nicht ganz so simpel ist die Antwort darauf. Dafür braucht es Zeit, Geduld und auch Erkenntnis. Schülerinnen und Schüler werden auf diesem Weg aber gut unterstützt. Sie finden beispielsweise interaktive Instrumente, die ihnen helfen, ihre Interessen und Fähigkeiten einzuschätzen. Sie können die verschiedenen Bildungswege erkunden und sich über Ausbildungen und Berufe informieren. Und entscheidend sind natürlich auch Schnupperlehren. Die Jugendlichen können dabei herausfinden, ob ihnen der Beruf gefällt und sie in den Betrieb passen. Mein Tipp also: Auf den Weg machen, erkunden und seine Talente erkennen.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Wie haben Sie selbst als Jugendlicher den Berufswahlprozess erlebt?
Dieser war etwas speziell. Zunächst wusste ich mit 16 Jahren, als ich die Mittelschule mit der Option «Latein-Englisch» abschloss, nicht, was ich machen wollte. Da wir einen Bauernhof hatten und mein Bruder eher dafür prädestiniert war, diesen zu übernehmen, entschied ich mich, meine Allgemeinbildung am Gymnasium fortzusetzen und machte meine Matura. Dann sagte mein Bruder eines Tages, dass ihn Kühe nicht mehr interessierten und dass er in den Weinbau einsteigen wolle. Mein Vater hatte 1971 gerade einen neuen, modernen Bauernhof gebaut. Ich fand es schade, unseren Hof aufzugeben, und beschloss daraufhin, eine Lehre im deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg zu machen, um mich im Bereich der Landwirtschaft weiterzubilden. Ich habe mich dann mit meinem Vater und meinem Bruder zusammengetan und dann ging alles Schlag auf Schlag. Ich machte eine eidgenössische Meisterprüfung, die es mir ermöglichte, etwa zwanzig Jahre lang Lernende und Personen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Abteilung Agronomie, auszubilden. Ich hatte also einen etwas atypischen Werdegang. Ich gehöre zu jenen jungen Leuten, die sich erst spät für eine Karriere entschieden haben. Aber mein Werdegang zeigt beispielhaft: Nach einer beruflichen Grundbildung stehen einem alle Türen offen.