«Wichtig ist, Jugendliche dort zu fördern, wo sie Fähigkeiten haben und motiviert sind»
Ökonom Mathias Binswanger erachtet das duale Bildungssystem als grosse Stärke der Schweiz. Im Interview erzählt er, welche Chancen die Berufsbildung der Wirtschaft bringt, wie Jugendliche den richtigen Berufsweg finden können und was er unternimmt, damit seine eigenen Kinder einmal die «richtige Karriere» beschreiten.
Herr Binswanger, was ist Ihr Bezug zur Berufsbildung?
Ich selbst habe eine Matura gemacht und danach studiert. Somit kann ich nicht als Aushängeschild dienen. Die Berufsbildung und das duale Bildungssystem gehören aber zu den grossen Schweizer Errungenschaften. Die Berufsbildung leistet einen wesentlichen Beitrag zum hohen Wohlstand, den wir in der Schweiz geniessen und sorgt im internationalen Vergleich für eine tiefe (Jugend)-Arbeitslosenquote.
Wie zufriedenstellend ist das duale Bildungssystem der Schweiz?
Einerseits sind wir stolz auf das duale Bildungssystem. Andererseits haben wir Angst, den Anschluss an das Ausland zu verpassen. Viele junge Menschen in der Schweiz befürchten, dass sie ohne akademische Ausbildung schlechtere Karrierechancen haben. Während sich das Ausland immer mehr für das Bildungssystem der Schweiz interessiert, streben unsere Jugendlichen einen Maturitätsabschluss an. Diese Entwicklung wertet die Berufslehre tendenziell ab und ist vollkommen verfehlt. Denn der Fachkräftemangel ist in jenen Branchen und Berufsfeldern am höchsten, die Fachleute mit einer Berufslehre und anschliessender höher Berufsbildung erfordern.
Wie können Jugendliche herausfinden, ob der Weg in eine Berufslehre für sie richtig ist?
Es geht darum herauszufinden, wo die eigenen Fähigkeiten liegen und vor allem auch, was man gerne macht. Für viele Tätigkeiten ist die Berufslehre der richtige Weg zu einer guten Ausbildung und einem erfüllten Berufsleben, weil man die Tätigkeiten «on the job» besser lernt als im Klassenzimmer.
In einem Interview mit dem «Tagesanzeiger» erklärten Sie: «Erst wenn Bildung auf Fähigkeit und Motivation trifft, kann daraus auch Exzellenz werden.» Was können Eltern unternehmen, damit ihre Kinder zu exzellenten Fachkräften werden?
Die Kombination von Motivation und Fähigkeiten ist essentiell. Es nützt beispielweise nichts, mehr Jugendliche zu Informatikerinnen und Informatikern auszubilden, wenn ihre Begabung woanders liegt. Das gibt zweitklassige Fachleute, die nicht für Exzellenz sorgen. Wichtig ist, dass man Jugendliche dort fördert, wo sie Fähigkeiten haben und motiviert sind.
Sie sind Vater von zwei Kindern. Wie unterstützen Sie Ihre Kinder dabei, den richtigen Berufsweg zu finden?
Ich versuche ihre Neigungen und Fähigkeiten zu erkennen, um sie dann entsprechend zu beraten. Letztlich sollen sie aber lernen oder studieren, was sie gerne machen. Ein erfülltes Arbeitsleben ist unabdingbar, um auch ein glückliches Leben führen zu können.
Das Interesse für die höhere Berufsbildung – ein logischer Schritt nach der Berufslehre – hat in den letzten 20 Jahren um ca. 60 % zugenommen. Was halten Sie aus wirtschaftlicher Sicht von dieser Entwicklung?
Das ist genau die Entwicklung, die wir brauchen. Wir benötigen in immer mehr Bereichen Spezialisten, die auch praktische Fähigkeiten haben. Wichtig ist deshalb, den Absolvierenden einer Berufslehre ihren Berufsstolz zurückzugeben und aufzuzeigen, dass gerade sie heute gebraucht werden.