«In der Schweiz haben wir das grosse Glück, dass uns immer eine Türe offensteht»
Sonja Morgenegg-Marti ist heute Berufsfachschul-Direktorin. Ihr Lebenslauf zeigt, dass dank dem dualen Bildungssystem alles möglich ist. Der erste Berufsentscheid muss nicht unbedingt der letzte sein: Sonja Morgenegg-Marti startete als Kauffrau, wurde Pflegefachfrau, Berufsfachschullehrerin und leitet seit 2013 die gibb Berufsfachschule Bern. BerufsbildungPlus.ch hat die dreifache Mutter gefragt, was sie Eltern rät, deren Kinder sich nicht für einen Berufsweg entscheiden können.
Die Berufswahl ist für Jugendliche ein wichtiges Thema. Wie können sie den richtigen Berufsweg für sich finden?
Wichtig ist der Austausch mit ihrem Umfeld. Was haben ihre Eltern, Tanten, Onkel, Geschwister und Freund:innen gemacht? Was erzählen sie davon? Dies gibt Jugendlichen einen Einblick und die noch diffusen Vorstellungen werden etwas klarer. Daneben sollen die Jugendlichen auf jeden Fall in verschiedenen Betrieben und vielleicht auch Branchen schnuppern gehen. So erhalten sie eine Vorstellung, wie der Berufsalltag aussehen könnte. Eine meiner Töchter liebt Pferde und schnupperte als Pferdepflegerin. Als sie den Alltag erlebte, war ihr klar, dass es für sie nicht über ein Hobby hinausgehen wird und sie hat sich anderweitig orientiert.
Inwiefern hilft die gibb Jugendlichen bei der Berufswahl?
In der Regel haben unsere Jugendlichen in den EBA- und EFZ-Ausbildungen ihren Beruf bereits gewählt. An unserer Schule bereiten aber einige sogenannte Brückenangebote Jugendliche mit Lernschwächen und Jugendliche mit Migrationshintergrund auf den Einstieg in die Berufslehre vor.
Welche Möglichkeiten haben Eltern, ihre Kinder in der Berufswahl zu unterstützen?
Aus Sicht der Eltern ist es sehr wichtig, gelassen zu bleiben und keinen Druck aufzusetzen. Die Schweiz kennt eine sehr hohe Durchlässigkeit im Bildungssystem. Egal, welche berufliche Grundbildung Jugendliche nach der obligatorischen Schule wählen, oder ob sie das Gymnasium besuchen: Nach dem Motto «Kein Abschluss ohne Anschluss» gibt es immer die Möglichkeit, weitere Schritte auf dem Bildungsweg zu machen. Ich gebe Ihnen wiederum ein Beispiel meiner anderen Tochter: Sie absolvierte eine Berufslehre mit Berufsmaturität, hat dann die Passerelle zur Eidgenössischen Maturität gemacht und startet im Herbst mit ihrem Studium an der Universität Bern – alles ist möglich.
Wie haben Sie Ihre Kinder bei der Berufswahl unterstützt?
Zwei unserer Kinder wollten ins Gymnasium und haben das auch gemacht und anschliessend studiert. Das dritte wollte eine Berufslehre machen, wusste aber nicht so recht was. Wir haben unsere Tochter ermuntert, alle Berufe zu schnuppern, die sie interessierten. Was sie auch gemacht hat. Das hat ihr dabei geholfen, sich zu entscheiden. Wir haben sie dann natürlich auf das Bewerbungsgespräch vorbereitet und sie bei der Bewerbung generell unterstützt.
Sie selbst haben zunächst eine kaufmännische Berufslehre bei einer Bank absolviert und anschliessend in die Pflege gewechselt. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Gegen Ende der kaufmännischen Ausbildung, die mir eigentlich ganz gut gefiel, wusste ich plötzlich, was ich werden wollte. Und das war Pflegfachfrau HF. Diese Ausbildung sowie meine spätere Weiterbildung zur Lehrerin und den noch späteren Master an der Universität Bern haben mich beflügelt. Ich bilde mich gerne weiter und habe das auch in den letzten Jahren immer so gehalten.
Welchen Tipp haben Sie für Eltern, deren Kinder sich nicht für einen Berufsweg entscheiden können?
Nicht verzweifeln, es gibt immer einen Weg. Sei dies über ein vollschulisches Angebot oder über eine Berufslehre. Holen Sie sich Beratung beim Berufsinformationszentrum (BIZ) und ermutigen Sie Ihr Kind, so viel wie möglich zu schnuppern. Und auch wenn der erste Entscheid doch nicht der richtige für immer war, so ist das Wissen nicht verloren. Alles, was man lernt, füllt den Rucksack für das Leben. Und in der Schweiz haben wir das grosse Glück, dass uns immer eine Türe zu einem weiteren Bildungsangebot offensteht.